Aus der Forschung

Untersuchungen zeigen: Ein Atemstillstand bei schweren COVID-19-Verläufen könnte auch neuronal vermittelt sein

SARS-CoV2 kann in seltenen Fällen zu einer schweren Form der Lungenentzündung führen, die unter Umständen ein akutes Lungenversagen (ARDS „Acute respiratory distress syndrome“) auslöst. Dabei handelt es sich um eine „überschießende“ Entzündungsreaktion: In der Lunge sammeln sich Entzündungszellen und Flüssigkeit an. Dies behindert zum einen rein mechanisch die Atmung, zum anderen zerstört die entzündlich-aggressive Flüssigkeit den körpereigenen Schutzfilm („Surfactant“) in den Lungenbläschen, die in Folge keinen Sauerstoff mehr aufnehmen können.

Neben diesen lokalen Ursachen könnte jedoch auch ein neurologischer Pathomechanismus zur Problematik des Lungenversagens beitragen, wie ein Ende Februar publizierter Übersichtsartikel aus China beschreibt. „Es gibt zahlreiche, zum Teil auch schon ältere Arbeiten, die zeigen, dass Coronaviren in das zentrale Nervensystem (ZNS) bzw. das Gehirn eindringen können, insbesondere in den Hirnstamm. Dort befinden sich wichtige Steuerzentralen von Vitalfunktionen wie das Atemzentrum. Eine durch Viren ausgelöste Dysfunktion könnte einen Atemstillstand begünstigen, auch ohne Lungenentzündung“, erläutert Professor Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Das neuroinvasive Potenzial der Viren könne auch erklären, warum bei COVID-19-Erkrankungen neben den typischen Krankheitszeichen Fieber, Halsschmerzen und Husten auch neurologische Symptome wie der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Bewusstseinsstörungen auftreten.

Das neuroinvasive Potenzial der Erkrankung wurde laut DGN bereits 2002/2003 beim SARS-CoV-Ausbruch beschrieben: Die Coronaviren fand man dabei nur in Gehirnzellen, nicht in den benachbarten Blut- oder Lymphbahnen, was für einen Infektionsweg über die Nervenzellen und nicht über Blut- oder Lymphgefäße spricht. Tierexperimentell konnte der neurale Infektionsweg bereits nachgewiesen werden, er verläuft von der Nasenschleimhaut über sogenannte freie Nervenendigungen bis zum Gehirn. Die Viren werden dabei von Neuron zu Neuron über die Synapsen weitergegeben (über den Transportweg der Endo-/Exozytose).

In dem aktuellen Review wurde, wie die DGN berichtet, darüber hinaus hervorgehoben, dass Tiere, die mit MERS-CoV („Middle East respiratory syndrome coronavirus“) infiziert waren – also einer anderen Untergruppe der Coronaviren, die 2012 entdeckt wurden – zum Teil verstarben, ohne überhaupt Atemwegssymptome entwickelt zu haben; die Viren fanden sich bei diesen Tieren nur zerebral, nicht aber in der Lunge.

Auch in der aktuellen SARS-CoV2-Pandemie werde vielfach berichtet, dass Patienten schwer erkranken, sogar versterben, ohne zuvor respiratorische Symptome entwickelt zu haben. „Aus neurologischer Sicht ist es wichtig abzuklären, wie groß die Rolle der Hirnstammbeteiligung bei COVID-19-Patienten tatsächlich ist, also wie viele der schweren Krankheitsverläufe auf das Konto des neuralen Pathomechanismus gehen. Wir hoffen, dass die großen internationalen COVID-19-Register zeitnah Daten dazu liefern “, betont Professor Berlit. Besonders wichtig seien die Registerdaten auch, um die tatsächliche Rate von schweren Covid-19-Verläufen generell beziffern zu können.

 

 

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