Die Intensivtherapie aus Sicht der Logopädin

Die Intensivtherapie beginnt mit einem entspannten Ankommen in der Ferienwohnung. Der Therapieplan für die nächsten Wochen liegt bereit und am folgenden Tag wird früh morgens gestartet. Begonnen wird mit einer kompetenzorientierten Beobachtung des Patienten innerhalb einer alltäglichen Handlung. Dabei versuchen die Therapeuten so nah als irgend möglich an die Fähigkeiten und Erinnerung des Patienten heranzukommen. Nur so kann man herausfinden, an welcher Stelle der Patient Informationen aus seiner Umwelt und seinem Körper generiert und für weiteres Lernen adäquat nutzen kann. Ein solcher Auftrag kann sein: „Bitte decken Sie den Kaffeetisch für uns drei und kochen Sie einen Kaffee.“

Diese und viele weitere Situationen werden begleitet mit der Videokamera und das Material gesondert gesichtet. Das geschieht meist, nachdem auch die Physiotherapeuten und Logopäden ihre professionsspezifischen standardisierten Tests durchgeführt haben. Zum Erstkontakt gehören auch die Fragen „Was wünschst du dir?“ und „Welche Ziele hast du? Für diesen Aufenthalt oder für das laufende Jahr?“ Die Antworten des Patienten und der Angehörigen können dabei durchaus abweichen. Im Anschluss wird ein individuelles auf die Wünsche und Ziele des Patienten und der Therapeuten zugeschnittenes Programm erstellt. Im Team arbeitet man, wenn möglich, ineinander übergreifend. Das hat den Vorteil, dass die Logopädin die Arbeit oder Aufgabe ihrer Kollegen direkt übernehmen und fortführen kann und der Patient konzentriert in der Handlung verbleibt. Hierfür ist es wichtig, dass auch die Logopäden ein ­zumindest grobes Verständnis für die Inhalte der physiotherapeutischen Behandlung haben oder auch verstehen, welche Schwerpunkte die Ergotherapeuten warum setzen. „Als Logopädin bin ich dann in der Lage, den möglicherweise nicht mobilen Patienten auf eine gute, inputorientierte und für den Patienten sichere Art und Weise zu transferieren zum Beispiel von der Liege zurück in den Rollstuhl oder vom Rollstuhl ins Bett”, erklärt die leitende Logopädin Nina Slot. „Der qualitativ gute Transfer und die damit verbundene Arbeit an der Wahrnehmung ist bei wenig mobilen Patienten ein wichtiger Bestandteil des Alltags, der zumindest zu meiner logopädischen Ausbildung nicht gehört hat – ein großes Manko.”

Der Therapieplan kann also so aussehen:

8 bis 9 Uhr:
Wecken und Beine waschen im Bett, Hose und Schuhe anziehen und
ins Bad laufen, Oberkörper waschen, T-Shirt anziehen vor dem Waschtisch. 

9.30 bis 10.30 Uhr:
Frühstück geführt, anschließende Mundhygiene, Fazio-Oral-Therapie, Mundmotorik, Sprechübungen.

12 bis 13 Uhr:
Begleitetes Zubereiten des Mittagessens unter Berücksichtigung stabiler Unterlagen und Seiten, sowie der
zu erweiternden Handlungsplanung bezüglich Ursache – Wirkung, Reihenfolgen, Wiederholungen, Beginn und Ende sowie Transport durch die Räume.

14.30 bis 15.30 Uhr:
Neurologische Physiotherapie beginnend auf der Behandlungsliege oder Matte und endend mit einer sinnvollen Handlung im Stand mit Schienen. Um den Transfer in den wirklichen Alltag zu schaffen, wird jede Treppe gelaufen und das Lauftraining erfolgt beispielsweise am beschwerten Einkaufswagen durch den Supermarkt.

15.30 Uhr bis 16.30 Uhr:
Medizinisches Gerätetraining im PhysioKraftwerk im Untergeschoss. Ein bis zweimal wöchentlich treffen sich die behandelnden Kollegen zu einer Teambesprechung. Dabei werden die aktuellen Kompetenzen betrachtet, die Zielsetzungen für die nächste Woche besprochen und sich fachspezifisch ausgetauscht. Dabei sichtet man das bei der Therapie erstellte Videomaterial.

Auf diese Art und Weise wird eine ­optimale, absolut individuelle Versorgung des Patienten im Rahmen seines ­Alltags erreicht. Familie und die Pflegekräfte können angeleitet werden zu wichtigen Aspekten, wie Transfer, Mundarbeit, geführtes Essen, Unterstützung beim Anziehen. Mit Hilfe der Teambesprechungen wird die Effektivität massiv gesteigert. Die einzelnen Professionen profitieren voneinander und es wird möglich, weitere zum ­Beispiel physiotherapeutische Aspekte in die logopädische Therapie mit einfließen zu lassen. In welcher Position ist das zeitnahe Schlucken für den Patienten am besten ansteuerbar? Das lässt sich am nächsten Tag sofort umsetzen. Zu jedem Aufenthalt gehört der Besuch eines Restaurants. Transfer, Laufen, Speisekarte lesen, aussuchen, bestellen, essen, trinken, zuhören und erzählen – am Ende bezahlen und ein Trinkgeld geben – das ist selbstbestimmt!

Am Ende jeder Intensivtherapie steht ein Angehörigengespräch, manchmal mit, manchmal ohne den Patienten. Man blickt zurück auf den mehrwöchigen Aufenthalt, bespricht das Erreichte, vergleicht die Tests, beleuchtet die damals geäußerten Wünsche und Ziele, formuliert unter Umständen neue oder definiert genauer, was wichtig für den individuell gefühlten Fortschritt ist. Manchmal wird ein „Vertrag“ zwischen dem Team und dem Patienten unterzeichnet, wenn es um Transfer in den Alltag geht, der in naher Zukunft von den Therapeuten nicht allzu eng betreut werden kann. Doch zum Konzept der Intensivtherapie gehört auch die Betreuung und Supervision des Teams und der Familie zu Hause. „So wird es möglich, dass das in unserem Haus sehr persönlich zusammengefügte Therapiepuzzle auch langfristig zum Erfolg führt. Denn nur gemeinsam über 365 Tage im Jahr ist Entwicklung und Lernen möglich”, weiß Nina Slot zu berichten. „Das Team rund um den Patienten ist der Schlüssel zum Erfolg. Das reflektierte Arbeiten und ständige Hinterfragen ‚Warum reagiert der Patient so?’ oder ‚Warum kann er die erwartete Handlung nicht durchführen?’ im interdisziplinären Austausch ist wichtige Basis der Arbeit.”

Verfasserin: Nina Slot, Leitende Logopädin
www.brain-restart.com

Weitere Artikel

Letzte Beiträge