Neues zu Neuro-COVID

Zahlreiche Fallberichte und Studien beschreiben mittlerweile neurologische Begleiterscheinungen bei COVID-19-Patienten. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hin. Sehr häufig sind Geruchs- und Geschmacksstörungen. Es kann aber während der Virusinfektion auch zu diffusen Hirnschädigungen (Enzephalopathien) mit neurologischen und psychiatrischen Auffälligkeiten, zu einer Entzündung von Gehirn und Rückenmark (Enzephalomyelitis) oder zu Schlaganfällen kommen. Das Kuriose dabei: Letztere treten nicht nur bei COVID-19-Patienten auf, die viele kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen, sondern auch bei jungen, „gefäßgesunden“ Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 infiziert haben. Infolge der Virusinfektion können auch Erkrankungen des peripheren Nervensystems wie das Guillain-Barré-Syndrom auftreten. Aufgrund dieser Beobachtungen spricht die internationale Fachwelt bereits von „Neuro-COVID“.

„Noch ist für einige der neurologischen Manifestationen nicht klar, wie häufig sie bei COVID-19 wirklich sind,“ erklärt Professor Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Aber selbst wenn der Anteil prozentual nur etwa dem von SARS oder MERS entspräche, ist die absolute Zahl COVID-19-assoziierter neurologischer Erkrankungen angesichts der enorm hohen Infektionsraten weltweit als hoch einzustufen, was bei der Versorgung der Patienten unbedingt Berücksichtigung finden muss.“ Beunruhigend sei zudem die Erkenntnis, dass neurologische Symptome oft persistierten. Eine aktuelle Studie aus Italien untersuchte, ob und welche Beschwerden bei COVID-19-Patienten nach der Klinikentlassung bestehen blieben: 87 Prozent der Erkrankten wiesen im Nachgang noch Symptome auf. Die häufigsten neurologischen Folgen waren in dieser Studie Müdigkeit bzw. Fatigue (rund 53 Prozent), Beeinträchtigungen des Geruchssinns (rund 16 Prozent), Geschmacksstörungen (rund 11 Prozent), Kopfschmerzen (rund 10 Prozent) und Schwindel (rund 5 Prozent).

Eine Studie der Berliner Charité untersuchte nun elf Intensivpatienten mit COVID-19 und neurologischen Symptomen auf spezielle Antikörper und wurde fündig: Das Immunsystem richtet sich offensichtlich bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten gegen körpereigene Nervenzellen. „Die Viren können die Bildung von Autoantikörpern anregen, die genau an die Oberflächenstruktur von Nervenzellen passen. Derzeit prüfen wir, ob die Antikörper-Bildung eine Folge der virusbedingten Entzündung ist. Alternativ könnte es sich dabei um eine ‚Strategie‘ des Virus handeln, seine Oberfläche körpereigenen Strukturen anzupassen, um von den Killerzellen des Immunsystems nicht erkannt zu werden. In beiden Fällen richten sie sich gegen alle Zellen mit dieser Oberflächenstruktur, auch gegen gesunde Nervenzellen. So kann das Virus ein neurologisches Symptom oder eine neurologische Erkrankung katalysieren“, erklärt Prof. Dr. Harald Prüß von der Charité Berlin, Sprecher der DGN-Kommission Neuroimmunologie, der diese Daten am 6. Juli als Preprint veröffentlicht hat. Dieser Mechanismus ist demnach auch von anderen Viren bekannt. Beispielsweise können Herpesviren auf diese Weise eine autoimmune Form der Hirnentzündung nach der eigentlichen viralen Infektion auslösen.

„Noch sind nicht alle Pathomechanismen geklärt, die bei COVID-19-Patienten zu einer neurologischen Beteiligung führen, wir brauchen sicher weitere prospektive Befunde von größeren Patientenzahlen. Der von Prüß und Kollegen vermutete krankheitsauslösende Prozess erscheint aber plausibel und hat zudem den Charme, dass wir hier eine Therapieoption hätten: Bei viral ausgelösten Autoimmunreaktionen können wir erfolgreich mit Immuntherapien behandeln“, so DGN-Generalsekretär Professor Berlit abschließend.

 

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