Nicht einfach nur eine Jubiläumsfeier

Unglaublich, aber wahr: Der BiBeZ – Ganzheitliches Bildungs- und Beratungszentrum zur
Förderung und Integration behinderter/chronisch erkrankter Frauen und Mädchen e.V. – f
eiert am 21. Oktober 2022 sein 30jähriges Bestehen. 30 Jahre zeigen, dass hier in Heidelberg eine Institution sich etabliert hat. Und auch wenn sich die Welt seither einige Male gedreht und auch das BiBeZ sich mit der Entwicklung der Gesellschaft und den politischen Debatten darin verändert hat, ist sein Schwerpunkt nach wie vor derselbe und aktuell wie eh und je: die Arbeit für und die Ermächtigung von Frauen und Mädchen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen. Dies wäre ohne die Ideen, den Mut, den Ehrgeiz, die Lust, die Kraft und Zeit der Gründerinnen, zu denen auch Anette Albrecht gehörte und den vielen engagierten Frauen, die in verschieden Zeitfenstern, in kürzerer oder längerer Dauer, während der vergangenen 30 Jahre das BiBeZ begleitet haben, nicht möglich gewesen. Frauen, die eingestanden sind für innovative sozialintegrative Ideen, lange bevor der Begriff der Inklusion bemüht wurde, Frauen, die den Glauben an ein gemeinsames Miteinander nie verloren haben, Frauen, die den Tatendrang, Träume und Visionen, zum Leben zu erwecken, nie aufgegeben haben. Und das allen Widerständen und Zweifeln zum Trotz, die es zweifellos gab.

Fotoausstellung und Konzertlesung „Selbst-Bewusst-Sein“
Aber dieses Jubiläum wird nicht nur eine der üblichen Feiern. Vielmehr wird dieses Jubiläum im Zeichen der Betroffenen selbst stehen und Frauen mit Behinderungen werden die Bühne selbst nutzen, die ihnen das BiBeZ im Rahmen seines Jubiläums zur Verfügung stellt, und das Wort selbst ergreifen.

Ein Jahr lang war das BiBeZ damit beschäftigt, wieder eine Fotoausstellung auf die Beine zu stellen. Ganz im Sinne von „back tot he roots“ wollte frau, angelehnt an die erste Ausstellung „Geschlecht: Behindert – Merkmal: frau“, das Thema von damals, die Sichtbarkeit von Frauen mit Behinderungen, wieder sichtbar als Fotoausstellung präsentieren. Bei der damaligen Ausstellung wurde stark der Fakt der Doppeldiskriminierung beleuchtet: Frauen mit Behinderungen wurden und werden auch heute teilweise noch vor allem als geschlechtsneutrale Wesen dargestellt. Doch was heute Befreiung bedeutet, nämlich unter anderem eine geschlechterneutrale Behandlung, war und ist nicht immer ein Vorteil. Frauen mit Behinderungen standen noch nicht einmal die Privilegien von Frauen zu, geschweige denn die von Männern. Deshalb war es ein erster Schritt der Befreiung, sich von der Rolle der Behinderung zu lösen und sich in das Klischee der Frau zu begeben.

Heute kann es dagegen nicht mehr darum gehen, sich zu befreien, indem man sich von einem Klischee in das nächste begibt, wenn auch bewusst. Unsere Welt ist komplexer geworden oder zumindest ist die Komplexität sichtbarer, so sind auch die Models unsere Fotoausstellung höchst vielfältig und haben neben der Gemeinsamkeit der chronischen Erkrankung oder Behinderung sehr unterschiedliche kulturelle oder familiäre Hintergründe und Lebensweisen. Es ist nicht möglich, sich auf ein bestimmtes Bild zu einigen, wie man gesehen werden möchte, was man sein möchte oder ist. Aber es ist möglich, genau diese Vielfalt zuzulassen und zu zeigen und sich zu verbinden in der unbedingten Akzeptanz dieser Vielfalt. Es geht heute darum, sich von jeglichen Klischees befreien zu können, weil wir sie nicht brauchen als Geländer unseres Selbst, wenn wir selbst gelernt haben, sicher zu stehen.

Die Ergebnisse dieser durch Mosaik Deutschland und dem Kompetenznetz Plurales Heidelberg geförderten Fotoausstellung mit dem Titel „Selbst-Bewusst-Sein – 36 shades of being normal“ werden zum ersten Mal an besagter Jubiläumsfeier zu sehen sein. Und nicht nur das. Auch einige der teilnehmenden Models werden da sein und im Stil einer Konzertlesung auf die Bühne gehen und ihre Geschichten erzählen und vor allem genau das sagen, was sie gerne der Gesellschaft mitteilen möchten.

Anette Albrecht Medaille“
Unermüdliches Engagement war auch Anette Albrechts Weg zum Ziel. Von der Geburtsstunde des BiBeZ bis zu ihrem Tod ist sie eingestanden für ein selbstbestimmtes Leben von Frauen und Mädchen mit Behinderung oder Erkrankung. Anette war ein Vorbild. Sie war eine kleine Person mit großem Kämpferherz. Sie gehörte zum Heidelberger Stadtbild fast so, wie das weltberühmte Schloss. Sie war Mitbegründerin des BiBeZ und des Beirats von Menschen mit Behinderung (BmB) – Heidelberg. Sie starb plötzlich und völlig unerwartet vor 15 Jahren. Alle fünf Jahre vergibt das BiBeZ in Kooperation mit dem Amt für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg und in Gedenken an diese außergewöhnliche Frau, die die Glasknochenkrankheit hatte, den Integrationsförderpreis „Anette Albrecht Medaille“. Bei diesem Preis, der ihren Namen trägt, geht es um Engagement. Jeder und Jede kann sich einsetzen auf die ganz individuelle Art und Weise, mit den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, eben, ganz auf die eigene Art. Und hier speziell: für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung/chronischer Erkrankung am Leben in unserer Gesellschaft. Wir wollen mit diesem Preis das Engagement von Menschen hervorheben, bekannt oder bekannter machen, die eben ganz auf ihre Art unermüdlich, couragiert und engagiert eintreten dafür, dass Menschen mit Behinderung/chronischer Erkrankung mehr und mehr Zugang haben zu allen Bereichen des Lebens und damit ganz selbstverständlich nicht nur teilhaben an unserer Gesellschaft, sondern ganzer und wertvoller, auch gebender Teil unserer Gesellschaft jenseits der Hilfsbedürftigkeit sind.

Sowohl die Verleihung der Anette-Albrecht-Medaille durch Schirmherren Professor Dr. Eckart Würzner als auch die Konzertlesung zur Fotoausstellung „Selbst-Bewusst-Sein“ des BiBeZ e.V. werden im Rahmen des 30-jährigen Jubiläums des Vereins am 21. Oktober 2022 in der Hebelhalle in Heidelberg zu sehen sein.

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