Sparen um jeden Preis verhindert Zukunft, Teilhabe und selbstbestimmtes Leben – und führt so langfristig zu höheren Kosten in vielen Lebensbereichen.
Der GKV-Spitzenverband setzt in seinem neuen Positionspapier (Juni 2023) schon im Titel eindeutig Wirtschaftlichkeit vor Qualität. Für die Versorgung von behinderten Kindern und deren Entwicklung verheißt das nichts Gutes.
„Erfolgreiche Versorgung gelingt nur unter entsprechenden Bedingungen und aus allen Bereichen der Kinder-/Jugendmedizin kommen inzwischen Hilferufe, weil das System nicht schon jetzt mehr aufrechtzuerhalten ist, geschweige denn mit noch mehr Sparzwang,“ fürchtet Christiana Hennemann von rehaKIND e.V.
Rückkehr zu alten Vertrags- und Vergütungsmodellen – wenig Ideen und keine Innovationen
Enttäuschenderweise schlägt der GKV-Spitzenverband, der 100 Prozent der gesetzlichen Krankenversicherungen repräsentiert, als Idee der Einsparung die Rückkehr zu „veralteten“ Vergütungs- und Vertragsmodellen vor. Der Gesetzgeber hatte diese bereits 2019 als unzulässig und „nicht zielführend“ abgeschafft und hatte gute Gründe dafür: Ausschreibungen, Open-House Verträge und Festpreise fördern statt Versorgungsqualität weitere Intransparenz. Nicht der beste Versorger, sondern der billigste Anbieter kommt zum Zug. Individualität, Komplexität und wohnortnahe Versorgung sind damit nicht abgebildet.
Die vom Gesetz verordnete Transparenz soll zurückentwickelt, das komplette Vertragsgeschehen weniger transparent dokumentiert werden, damit stellt sich das Positionspaper komplett gegen die Forderungen der Aufsichtsbehörde der Kassen, dem Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS).
Patienten- und Versichertenrechte werden ausgehöhlt
Die Wahrnehmung ihrer Rechte wird für die Patienten und Patientinnen deutlich erschwert, während sich die Kassen einer möglichen Kontrolle entziehen – ganz im Sinne ihrer „Selbstkontrolle“. Den Versicherten wird die Information entzogen, wer der zuständige „Vertragspartner/-partnerin“ ihrer Krankenkasse und „ihr Versorger“ und Ansprechpartner/-partnerin ist – ein deutlicher Rückschritt für die Patientenrechte, die in den letzten Jahren durch die Gesetzgebung gestärkt wurden.
Wettbewerb ohne differenzierte Betrachtung der Gesamtsituation
Eine differenzierte Betrachtung der Gesamtsituation und Einbeziehung demografischer und politischer Entwicklungen fehlt gänzlich: In finanziell angespannten Zeiten muss von einem Spitzenverband erwartet werden, die Gründe für Kostensteigerungen gesamtheitlich zu analysieren und nur dem Reflex nach mehr „Wettbewerb“ nachzugeben, der auf dem Rücken der versicherten ausgetragen wird:
Es fällt kein einziges Wort über den Ukraine-Krieg. 1,2 Millionen Geflüchtete, die ebenfalls medizinisch versorgt werden müssen, werden nicht erwähnt. Nichts über die höchste Inflation seit 1974, kein Hinweis auf den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Kein Wort über den großen demographischen Wandel und die daraus resultieren Belastungen für das Gesundheitssystem. Die Rezession in Deutschland und die Auswirkungen der Pandemie bleiben unerwähnt, kein einziges Wort über die weiterhin positive Beschäftigungsquote und hohen Tarifabschlüsse, die den Krankenkassen hohe Einnahmen sichert. Die Einnahmen des Gesundheitsfonds sind um 27,5 Milliarden gestiegen (2020-2022), das ist fast das Dreifache der Gesamtausgaben im Bereich der Hilfsmittel.
Kein Wort über „gemeinsame Lösungen“
Sparen an der Kinderversorgung ist zynisch und verhindert Entwicklung. Nur 0,041 Prozent des Budgets entfallen auf die Hilfsmittelversorgung behinderter Kinder. Jungen Patienten und Patientinnen die so wichtige Unterstützung und Förderung zu versagen oder über billige Standards nicht den individuellen Bedarf zu versorgen heißt, alle gesetzlichen Absichten der gesamtheitlichen Betrachtung des Menschen nach ICF (siehe Hilfsmittelrichtlinie §§6ff) und den Anspruch auf Teilhabe zu ignorieren. An dieser Stellschraube zu drehen und Kinderversorgung mit dieser Art von Wirtschaftlichkeitsdenken und Sparmaßnahmen zu verbinden, nennt Christiana Hennemann zynisch:
„Sparen an der Kinderreha verhindert die Entwicklung betroffener Kinder und Jugendlicher und produziert irreparable Folgeschäden für diese Patienten. Außerdem verstellt man den jungen Menschen die Möglichkeit, mit Hilfsmittelunterstützung, ihre Skills als dringend benötigte Arbeitskräfte auszubilden und zu nutzen – Inklusion kann so nicht funktionieren. Der Umgang mit Menschen wird in diesem System nicht wertgeschätzt: Schlechte Bezahlung, viel Druck und Verantwortung und wenig Zeit machen den medizinischen Arbeitsmarkt unattraktiv.“
Ja zum Abbau bürokratischer Hürden und zu mehr Effizienz
Von rehaKIND gibt es Beifall für den GKV-Spitzenverband, die Hilfsmittelversorgung von unnötiger Bürokratie zu befreien: Neben der Forderung, den ermäßigten Umsatzsteuersatz auf alle Hilfsmimel anzuwenden, gibt es allerdings noch viel mehr zu tun: Das Problem der zum Teil pro Jahr 200 benötigten Folgeverordnungen für einen chronisch kranken Menschen mit gleichbleibendem Hilfsmittelbedarf könnte effizienter gelöst werden. Die Bearbeitung der vielen Hilfsmittel-Ablehnungen und Widersprüche, von denen am Ende rund die Hälfte durchkommt, frisst Ressourcen bei allen Beteiligten. Ein Gesetzesentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium zur effizienteren Verordnung im Kinder- und Jugendbereich kann Abhilfe schaffen: Verordnungen von einer Gruppe von Fachleuten mit anerkannten internationalen Bedarfsermittlungs-Instrumenten zu einer interdisziplinären Hilfs- und Therapieempfehlung anzuzweifeln und fachfremd in tausenden von MD-Gutachten nach Aktenlage abzulehnen, ist Ressourcenverschwendung. Es gibt viele weitere Beispiele, effizienter zu arbeiten ohne Qualität einzubüßen.
Angst schüren statt innovatives Handeln – Hilfsmittel sind kein Kostentreiber
Der GKV-Spitzenverband schürt die Angst vor Beitragsanhebungen aufgrund von qualitätsgesicherter individueller Hilfsmimelversorgung. Ein nicht genutztes, weil nicht akzeptiertes Hilfsmittel ist definitiv die unwirtschaftlichste Lösung. Dafür ist die gemeinsame Konzeptentwicklung, die Zielfindung im interdisziplinären Team, das Gespräch mit den jungen Patienten und ihren Familien besonders wichtig, um das „richtige Hilfsmittel“ zu finden. Aber: Gespräche werden nicht bezahlt, dafür Apparatemedizin. Das fünfte MRT, welches die Ergebnisse der vorherigen bestätigt, wird problemlos finanziert.
Sind Hilfsmittel als Stellschraube für Einsparungen die Lösung?
Es geht um das Notwendige und es gelingt nur gemeinsam! Viele unterschiedliche Vereine und Verbände bieten mit professionellen Experten und Betroffenen als Experten in eigener Sache Gespräche an, liefern Ideen und alltagstaugliche Konzepte zu Digitalisierung, Bürokratieabbau. Evidenz- und Versorgungsforschung, Studien und vorurteilsfreie Zusammenführung des „Schwarmwissens“– ohne vorgeschaltete Blockaden und gegenseitiges Misstrauen. Der GKV-Spitzenverband zeigt kein Interesse!
Im Netzwerk rehaKIND e.V. engagieren sich neben Herstellern und Leistungserbringern auch Vertreter aus Medizin, Pflege und Therapie und Familien. Dadurch gelingt ein umfassender Blick auf die Auswirkungen solcher Ankündigungen. Das Gesprächsangebot von rehaKIND wurde bereits mehrfach an den GKV-Spitzenverband zugestellt. Es gilt weiterhin und dringender denn je, denn für 2023 wurde ein massives Defizit bei den gesetzlichen Krankenkassen prognostiziert. Umso wichtiger, dass die knappen Mittel zielgerichtet bei den zu versorgenden Menschen ankommen.
„Wir wollen Chancen sichern – für alle Kinder! Darum engagieren wir uns für Qualität und Individualität in der Kinderreha!“
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info@rehakind.com
v.i.S.d.P. Christiana Hennemann