Die gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR) e. V. mit den beiden Fachgesellschaften aus Österreich (OeGNR) und der Schweiz (SGNR) im Kongresszentrum Augsburg ging erfolgreich zu Ende. Rund 900 Teilnehmer kamen unter dem Tagungsmotto „Erstaunliche Möglichkeiten“ zusammen. Drei Tage lang wurden von führenden Experten und Expertinnen neueste Erkenntnisse in allen Bereichen der neurologischen Rehabilitation und angrenzender Gebiete vorgestellt. Die Auswahl aus dem überaus vielfältigen Programm fiel nicht immer leicht. Angesichts zahlreicher lebhafter Diskussionen auf hohem Niveau, guter Stimmung und vielen Vernetzungsmöglichkeiten zeigten sich die drei Kongress-präsidenten zufrieden mit der hochkarätigen Gemeinschaftstagung: Professor Andreas Bender, Facharzt für Neurologie mit den Zusatzbezeichnungen Neurologische Intensivmedizin sowie Rehabilitationswesen im Therapiezentrum Burgau, Professor Susanne Asenbaum−Nan, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie im Landesklinikum Amstetten und Professor Adrian Guggisberg, Chefarzt und Leiter Universitäre Neurorehabilitation Inselspital, Universitätsspital Bern.
Bewährte und neue Behandlungsmöglichkeiten
Der hochkarätige Fachkongress zeigte die Rehabilitation von Neurologischen und Neurochirurgischen Erkrankungen als ein junges medizinisches Fachgebiet, das rasant wächst. Bewährte und neue Behandlungsmöglichkeiten auf Grundlage von evidenzbasierten Leitlinien, von therapeutischem Erfahrungswissen über Robotik bis hin zu Virtual Reality und KI-basierten Anwendungen, verdeutlichten das breite Methodenspektrum der evidenzbasierten Neurorehabilitation. Einen großen Raum nahm die Vorstellung der guten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Arbeitsbedingungen und Karrierechancen in der Neurorehabilitation ein. Professor Bender betonte die interessanten beruflichen Möglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte, Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler, Therapeutinnen und Therapeuten und Pflegende: „Arbeiten in multiprofessionellen Behandlungsteams, genügend Zeit für die umfassende und ganzheitliche Betreuung der Patienten und Patientinnen und ihrer Angehörigen, Verwendung modernster evidenzbasierter Methoden und ein tiefes Verständnis für neurologische Erkrankungen und ihre Verläufe.“
Wirksame Standardbehandlungen und vielversprechende Studien
Thematische Veranstaltungen für das gesamte multiprofessionelle Behandlungsteam machten deutlich, wie breit das Feld der Neurorehabilitation inhaltlich aufgestellt ist. Entsprechend den vielschichtigen und heterogenen Symptomen und Funktionsstörungen der Patienten und Patientinnen ging es um wirksame Standard-Behandlungen wie zum Beispiel intensives Funktionstraining mit Therapiegroßgeräten, mit robotischen Gangtrainern und Laufbändern bei Lähmungen der Beine nach einem Schlaganfall. Für die Sprachtherapie wurden moderne Trainingsapps vorgestellt, die Patientinnen und Patienten immer besser auch als Eigentraining einsetzen können. Angesichts der Vielzahl neuer Möglichkeiten in allen Bereichen versuchen die Fachgesellschaften, mit der Entwicklung von Leitlinien für die unterschiedlichen klinischen Problemstellungen Standards zu definieren, damit sich evidenzbasierte Therapieverfahren verbreiten können.
Mehrere vielversprechende klinische Studien wurden zu sogenannten Neuromodulationsverfahren vorgestellt, die bei neurologischen Funktionsstörungen nach einer Hirnschädigung wie zum Beispiel einem Schlaganfall eingesetzt werden. Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS), repetitive transkranieller Magnetstimulation (rTMS) oder Nervus Vagus-Stimulation können zum Beispiel die Arm-/Handmotorik oder eine Sprach- und Schluckstörung verbessern. Auch wenn einige der neuen Verfahren noch keine Routineanwendung sind, wird die Integration in den klinischen Alltag als Herausforderung angesehen.
Evidenzbasierte Therapiekonzepte und Leitlinienwissen
Mit Blick auf Gesundheitsbeschwerden nach COVID-19 gab es zu speziellen neuropsychologischen Herausforderungen bei anhaltenden Symptomen einen gut besuchten Workshop zum Thema Fatigue-Management. Als Fachgesellschaft hat die DGNR federführend Leitlinien zur Rehabilitation bei COVID-19 veröffentlicht, in der auch Fatigue ein Thema ist. Um den multiprofessionellen Behandlungsteams neben evidenzbasierten Therapiekonzepten auch Leitlinienwissen für ihre klinische Arbeit in der Patientenversorgung zu vermitteln, wurde erstmals bei diesem Kongress das gesamte Curriculum Neurorehabilitation mit allen 10 Fort- und Weiterbildungsmodulen angeboten. In mehreren multiprofessionellen Symposien und Workshops hatten Therapeuten und Therapeutinnen sowie Ärzten und Ärztinnen einen gemeinsamen Blick auf die verschiedenen Diagnostik- und Therapieansätze. Auch war ein Workshop für Aspekte der speziellen Pflege in der Neurorehabilitation mit im Programm. Das Symposium „Neurorehabilitation: Weiterbildungs- und Arbeitsplatz mit Zukunft“ verdeutlichte in vielen lebhaften Redebeiträgen die besondere Bedeutung der Teamarbeit gerade in der Neurorehabilitation.
Gesundheitspolitische Diskussionen zur Patientenversorgung
Im länderübergreifenden Austausch über aktuelle Standards und neue Entwicklungen in der Neurorehabilitation trat der hohe Stellenwert der Neurorehabilitation für die Patientenversorgung hervor, der weit über die Neurologie hinausgeht, gleichzeitig aber in der Bedeutung für das deutsche Gesundheitswesen und die Krankenhauslandschaft häufig unterschätzt wird. Einrichtungen der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation übernehmen jedes Jahr Tausende von Intensivpatienten ud -patientinnen zur Weiterversorgung, viele noch mit künstlicher Beatmung, und tragen in einem hohen Maß zur Funktionsfähigkeit der Intensivstationen unter bestehenden Rahmenbedingungen bei. Vor diesem Hintergrund wurde diskutiert, dass die Pläne der Krankenhausreform die Hälfte der Standorte und damit ein bewährtes Versorgungssegment potenziell gefährden, was letztlich sogar einen Kollaps der Intensivversorgung bewirken könnte, da Intensivpatientinnen und -patienten dann nicht mehr verlegt werden könnten.
Konzept der MZEB für ambulante Langzeitbetreuung
Viele Diskussionen zeigten, wie sehr die Neurorehabilitation, die klinisch und auch konzeptionell zunehmend in die ambulante Nachsorge hineinwirkt, an Bedeutung gewinnt. In den letzten Jahren hat die DGNR inhaltlich dazu beigetragen, zusammen mit therapeutischen Berufsgruppen Standards für eine evidenzbasierte therapeutische Versorgung zu definieren, die nicht nur für den Rehabilitationsprozess gelten. So kann mit dem Konzept der Medizinischen Zentren für Menschen mit Behinderung (MZEB) die Expertise der Neurorehabilitation auch ambulant für Betroffene verfügbar gemacht werden – eine evidenzbasierte therapeutische Versorgung nicht nur im Rehabilitationsprozess, sondern auch als wichtiger Baustein der ambulanten Langzeitbetreuung von Neuroreha-Patientinnen und -Patienten in der ambulanten Nachsorge. Doch die Umsetzung wird dadurch erschwert, dass die Krankenkassen den Beantragungsprozess oft lange verzögern und die MZEBs nicht auskömmlich finanzieren. Dies geschieht, obwohl es sich beim Ausbau und der Stärkung der MZEB um ein von der Bundesregierung unterstütztes strategisches Vorhaben handelt.
Ausblick: Jahreskongress 2024 in Düsseldorf
Die spannenden Diskussionen können fortgesetzt werden bei der 10. Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR) e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Neurotraumatologie und Klinische Neurorehabilitation (DGNKN) e. V., die vom 28.–30. November 2024 in Düsseldorf stattfindet.