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„Der Mensch zuerst!?“ – dieses Leitmotiv des diesjährigen WundD.A.CH Kongresses wirft eine zentrale Frage für die moderne Wundversorgung auf. Was bedeutet diese Fokussierung auf den Einzelnen konkret im klinischen Alltag? Welche Veränderungen prägen die Wundversorgung heute und welche innovativen Trends zeichnen sich für die Zukunft ab, insbesondere im Hinblick auf Künstliche Intelligenz und Robotik? Im Gespräch mit Tagungspräsident Professor Dr. Sebastian Probst, einem Experten auf dem Gebiet der Wundversorgung, werden diese und weitere Aspekte beleuchtet.
Das Motto des Kongresses lautet „Der Mensch zuerst!?“ – was bedeutet diese Fokussierung auf den Einzelnen Ihrer Meinung nach konkret für die moderne Wundversorgung?
Professor Probst: „Für mich bedeutet dieses Motto vor allem, dass wir den Menschen wieder mehr in den Mittelpunkt rücken, nicht nur die Wunde an sich. Es geht darum, den Patienten als Individuum wahrzunehmen, mit all seinen Bedürfnissen, Sorgen, Lebensumständen und vielleicht auch Einschränkungen. In der modernen Wundversorgung heißt das konkret: Wir müssen Behandlungen stärker personalisieren, mehr zuhören, gemeinsam Entscheidungen treffen und auch darauf achten, wie die Therapie in den Alltag des Patienten passt. Personenzentrierung heißt auch, die psychische Belastung zu berücksichtigen – denn chronische Wunden können nicht nur körperlich, sondern auch emotional sehr belastend sein. Ich finde es sehr passend, dass der Kongress dieses Thema in den Fokus stellt und konkrete Ansätze und Werkzeuge bietet, wie wir das auch im klinischen Alltag umsetzen können, etwa durch interaktive Workshops oder Diskussionen zur Kommunikation mit Patienten.
Inwieweit hat sich die Wundversorgung in den letzten Jahren aus Ihrer Sicht verändert und welche Trends sehen Sie für die Zukunft?
Professor Probst: Die Wundversorgung hat sich in den letzten Jahren wirklich stark weiterentwickelt. Wir sehen heute deutlich mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit, also dass Pflege, Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten und auch Patientinnen und Patienten viel enger zusammenarbeiten als früher. Gleichzeitig hat die evidenzbasierte Praxis an Bedeutung gewonnen: Entscheidungen werden zunehmend auf Basis von Studien und Leitlinien getroffen, nicht mehr nur aus reiner Erfahrung heraus. Für die Zukunft sehe ich ganz klar drei große Trends: Erstens, der Einsatz von digitalen Technologien wird weiter zunehmen, von der digitalen Wunddokumentation bis hin zur KI-gestützten Analyse. Zweitens, die Therapien werden individueller, also stärker an den einzelnen Patienten angepasst. Und drittens, wir legen mehr Wert darauf, dass Patientinnen und Patienten ihre Selbstmanagement-Fähigkeiten entwickeln, um aktiv an der Heilung mitwirken zu können.
Künstliche Intelligenz und Robotik halten Einzug in die Wundversorgung. Welche konkreten Anwendungsbereiche sehen Sie hier mit dem größten Potenzial für eine verbesserte Patientenversorgung?
Professor Probst: Ich sehe in der Wundversorgung großes Potenzial für KI und Robotik, vor allem, wenn es darum geht, die Versorgung effizienter, präziser und gleichzeitig patientenzentrierter zu gestalten. Ein ganz konkreter Anwendungsbereich ist die digitale Wundanalyse. KI-Systeme können heute schon Fotos von Wunden auswerten und objektiv einschätzen, wie groß die Wunde ist, wie sie sich entwickelt und ob es Anzeichen für eine Infektion gibt. Das spart nicht nur Zeit, sondern hilft auch dabei, schneller die richtige Behandlung einzuleiten, besonders in der ambulanten Pflege oder im häuslichen Umfeld. Ein weiterer spannender Bereich ist die robotische Unterstützung bei der Versorgung, also zum Beispiel bei Verbandwechseln oder der Vorbereitung von Materialien. Das entlastet Fachkräfte, gerade bei routinemässigen Aufgaben, und schafft mehr Zeit für die direkte Patientinnen- und Patientenbetreuung. Außerdem sehe ich viel Potenzial in KI-gestützten Entscheidungshilfen, die Pflegefachpersonen und Ärztinnen und Ärzte helfen können, evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel bei der Auswahl von Wundauflagen oder der Einschätzung von Heilungsverläufen. Allerdings ist für eine erfolgreiche Umsetzung entscheidend, dass diese Technologien nicht isoliert eingeführt werden, sondern gut in bestehende Prozesse integriert sind, und dass das Personal entsprechend geschult und mitgenommen wird. Nur dann können wir ihr volles Potenzial wirklich ausschöpfen.
Wie schätzen Sie die Akzeptanz und die Implementierung digitaler Lösungen und Robotik bei Fachkräften im Gesundheitswesen ein? Welche Unterstützung benötigen sie möglicherweise?
Professor Probst: Ich denke, die Akzeptanz für digitale Lösungen und auch Robotik ist definitiv da, das Interesse ist groß und viele Fachkräfte sehen das Potenzial. Aber in der Praxis gibt es natürlich noch Hürden. Häufig fehlt einfach die Zeit oder auch das Know-how, um sich intensiv mit neuen Tools oder Technologien auseinanderzusetzen. Deshalb ist es aus meiner Sicht ganz wichtig, dass wir gezielte Schulungen und Weiterbildungen anbieten, praxisnah und gut verständlich. Gleichzeitig brauchen die Teams klare Strukturen und Richtlinien, wie diese digitalen Lösungen sinnvoll in den Arbeitsalltag integriert werden können, ohne zusätzlichen Stress zu verursachen. Ich finde es super, dass der WundD.A.CH-Kongress genau hier ansetzt: mit Workshops und Seminaren, in denen man sich konkret damit auseinandersetzen kann, und auch den offenen Austausch mit anderen, die schon Erfahrung mit digitalen Tools haben, als echte Chance nutzen kann.
Gibt es neue Materialien oder Technologien im Bereich der Wundauflagen, die innovative Therapieansätze ermöglichen?
Professor Probst: Ja, absolut, in den letzten Jahren hat sich im Bereich der Wundauflagen richtig viel getan. Es gibt mittlerweile hochentwickelte Materialien, die nicht nur besser Flüssigkeit aufnehmen, sondern auch gezielt antimikrobiell wirken, also Infektionen vorbeugen können. Spannend finde ich auch die Entwicklung von smarten Wundauflagen, also Verbände, die Sensoren enthalten und zum Beispiel die Temperatur oder den pH-Wert der Wunde überwachen. Das kann Hinweise auf Entzündungen geben, bevor sie klinisch sichtbar werden. Diese Innovationen helfen uns, die Behandlung individueller und dynamischer zu gestalten, je nach Wundtyp, Patientensituation und Heilungsverlauf. Das ist ein echter Fortschritt hin zu einer moderneren, effizienteren Wundversorgung.
Wie können wir sicherstellen, dass die neuesten Forschungsergebnisse und Evidenz tatsächlich ihren Weg in die praktische Wundversorgung finden? Welche Barrieren sehen Sie hier?
Professor Probst: Das ist eine der zentralen Fragen, denn wir haben heute so viel gute Forschung im Bereich Wundversorgung, aber der Transfer in den Alltag gelingt nicht immer reibungslos. Damit Forschung wirklich in der Praxis ankommt, braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Klinik. In der Realität sehen wir aber oft Barrieren wie Zeitmangel, fehlende Ressourcen oder auch eine gewisse Skepsis gegenüber Veränderungen im gewohnten Ablauf. Und manchmal fehlt einfach die Kommunikation, Forschung bleibt im akademischen Raum, anstatt direkt für Pflegefachpersonen oder Ärztinnen und Ärzte zugänglich zu sein. Deshalb finde ich es so wichtig, dass Kongresse wie der WundD.A.CH genau hier ansetzen: durch den Austausch zwischen Praxis und Forschung, durch verständlich präsentierte Ergebnisse, Diskussionen und konkrete Anwendungsbeispiele. So entsteht ein Raum, in dem Evidenz nicht nur diskutiert, sondern auch in Handlung übersetzt wird.
Wie können Ihrer Meinung nach die Forschung und die praktische Anwendung in der Wundversorgung noch besser miteinander verzahnt werden?
Professor Probst: Ich glaube, wir brauchen vor allem mehr echten Dialog zwischen Forschung und Praxis. Es reicht nicht, wenn Ergebnisse nur publiziert werden, sie müssen auch verständlich und praxisnah aufbereitet sein, damit sie im Alltag wirklich anwendbar werden. Wichtig sind interdisziplinäre Netzwerke und gemeinsame Projekte, bei denen Forschende und Praktikerinnen und Praktiker von Anfang an zusammenarbeiten. So können praxisrelevante Fragen direkt in die Studien einfliessen und umgekehrt lassen sich die Ergebnisse viel gezielter umsetzen. Veranstaltungen wie der WundD.A.CH-Kongress spielen dabei eine zentrale Rolle, weil sie Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammenbringen, sei es Klinik, Pflege, Wissenschaft oder Industrie. Wenn wir diesen Austausch stärken, kann der Wissenstransfer deutlich besser gelingen.
Welche Erwartungen haben Sie persönlich an den 4. WundD.A.CH Kongress? Auf welche Highlights während der Tagung freuen Sie sich besonders?
Professor Probst: Ich freue mich ehrlich gesagt sehr auf den 4. WundD.A.CH Kongress, für mich ist das immer eine tolle Gelegenheit, neue Impulse zu bekommen, aktuelle Entwicklungen kennenzulernen und sich mit Kolleginnen und Kollegen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen auszutauschen. Besonders spannend finde ich die Sessions zur personenzentrierten Versorgung, weil sie zeigen, wie wir unsere Patientinnen und Patienten noch stärker in den Mittelpunkt stellen können, fachlich wie menschlich. Auch die Themen rund um Digitalisierung und neue Technologien in der Wundversorgung sind für mich echte Highlights. Aber worauf ich mich ganz besonders freue, ist die Abschlussdebatte. Da diskutieren Ärztinnen und Ärzte und Pflegende miteinander die Frage, ob eine Wunde nach 12 Wochen abgeheilt sein sollte oder nicht. Das wird sicher nicht nur fachlich spannend, sondern auch humorvoll, und, was ich grossartig finde, das Publikum wird aktiv per Live-Voting eingebunden. Ich glaube, das wird ein toller Abschluss, der zeigt, wie lebendig, diskussionsfreudig und praxisnah unser Fachbereich ist.