Deutschland stehen wichtige Wochen bevor: Nach der Bundestagswahl ist es nun an den maßgeblichen Parteien, in Sondierungsgesprächen und darauffolgenden Koalitionsverhandlungen einen tragfähigen Kompromiss für den Kurs der zukünftigen Regierung zu finden. In diesem Zusammenhang möchte die Arbeitsgemeinschaft Teilhabe – Rehabilitation, Nachsorge und Integration nach Schädelhirnverletzung (AG Teilhabe) an die Versprechen erinnern, die diese Parteien im Vorfeld Menschen mit erworbenen Hirnschäden gemacht haben, und zugleich noch einmal an sie appellieren, die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen gleich welcher Art in den Mittelpunkt der Gesundheitspolitik zu rücken. Mindestens eine Million Mitbürger jeden Alters und deren Angehörige leiden an den komplexen kognitiven, psychischen, physischen, sozialen und beruflichen beziehungsweise schulischen Folgen erworbener Hirnschädigungen oder Krankheiten des Zentralen Nervensystems (ZNS). Diese Gruppe stellt somit einen großen, aber auch sehr verwundbaren Teil der Bevölkerung dar und bedarf daher der besonderen Aufmerksamkeit der Politik. Ihre Interessen dürfen keinesfalls zur reinen Verhandlungsmasse reduziert werden, sondern müssen vielmehr bei den anstehenden Gesprächen stets mitgedacht werden.
Die AG Teilhabe, die unter Schirmherrschaft der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung steht, hat wie schon anlässlich von vergangenen Bundestagswahlen so genannte Wahlprüfsteine erarbeitet und die Parteien mit verschiedenen Fragen und Forderungen konfrontiert. Unter anderem thematisierte sie dabei die Chancenungleichheit, die für Menschen mit erworbenem Hirnschaden in bestimmten Regionen Deutschlands bestehen. „Die Versorgungsstrukturen in Stadt und Land – ob ambulant oder auch stationär – zu verbessern, ist eine fortlaufende gesundheitspolitische Aufgabe“, betont dabei die SPD. Einer Einführung von Hilfsangeboten, die über den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen, erteilte die Partei allerdings eine Absage. Lediglich Bündnis 90/Die Grünen zeigen sich für eine konkrete erweiterte Förderung psychosozialer Angebote offen; die FDP spricht sich aber immerhin in ihrem Wahlprogramm dafür aus, „sowohl das Angebot der Beratung als auch das der Leistungserbringer“ auszuweiten, „um in möglichst vielen Regionen im Interesse der Menschen mit Behinderung, die Angebote zu ermöglichen.“ Jetzt müssen dieser Ankündigung aber auch Taten folgen.
Für Menschen mit erworbenem Hirnschaden gehören ambulant tätige Neuropsychologinnen und Neuropsychologen nach dem Abschluss der stationären Behandlung zu den wichtigsten Berufsgruppen, doch ihre Vertreter sind je nach Region nur schwer (wenn überhaupt) zu erreichen. Diesen Mangel hat auch die Linke festgestellt, die sich sehr ausführlich zu den verschiedenen Wahlprüfsteinen geäußert hat. Die Partei bezweifelt, „dass die Versorgung den Bedarf deckt“ und fordert eine wissenschaftliche Überprüfung, um die Lücken konkret benennen und schließen zu können. „Gerade für spezialisierte Behandlung wie die neuropsychologische Therapie müssen auch ambulante Angebote von Krankenhäusern stärker die Versorgung durch Praxen ergänzen. Falls es wie erwartet eine großflächige Unterversorgung gibt, müssen bereits im Studium die entsprechenden Lehrinhalte aufgewertet werden“, schreibt sie und unterstreicht damit die Forderungen der AG Teilhabe. CDU und CSU sind hingegen davon überzeugt, dass die vorhandenen Instrumente bereits ausreichen. „So könnten die Kassenärztlichen Vereinigungen dort, wo der Bedarf besteht, etwa die Umstellung auf einen neuropsychologischen Behandlungsschwerpunkt bei Übernahme oder Neugründung einer psychotherapeutischen Praxis fördern“, schreiben sie. Doch obliegt es der Politik sowohl auf Bundes- als auch auf Landes- und Kommunalebene, diese Umsetzung auch einzufordern. Gleiches gilt für andere Aspekte der Teilhabe. So haben sich sowohl Die Grünen als auch die FDP explizit dafür ausgesprochen, dass es für Menschen mit erworbenen Hirnschäden in bestimmten Situationen einen Anspruch auf eine fachliche Fallbegleitung geben muss. Diese wird zwar schon explizit im Bundesteilhabegesetz genannt, muss aber auch zur Anwendung kommen. Insofern hofft die ZNS – Hannelore Kohl Stiftung, dass die Parteien das konkrete Thema sowie die Belange von Menschen mit erworbenen Hirnschäden im Allgemeinen weiterhin auf der Agenda haben und es nicht als abgehandelt betrachten. Auch die zukünftige Regierung, wie auch immer sie am Ende aussehen wird, muss den Prozess zu mehr Chancengleichheit und Barrierefreiheit konsequent weiterführen und immer wieder Impulse setzen. Die AG Teilhabe sowie alle daran beteiligten Netzwerkpartner stehen auf jeden Fall für Gespräche zur Verfügung und werden weiterhin die Interessen der Betroffenen klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen.
Hier geht es zu den Wahlprüfsteinen der Arbeitsgemeinschaft Teilhabe