Glücklose „Glückspille“

Gleich zwei große randomisierte, placebokontrollierte Studien kommen zum gleichen Ergebnis: Fluoxetin kann nicht zur Verbesserung funktioneller Fähigkeiten nach einem Schlaganfall beitragen, führt aber zu mehr Nebenwirkungen. Darauf weisen Experten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) hin.

Fluoxetin ist ein sogenannter selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, der eigentlich zur Behandlung von Depressionen eingesetzt wird. 2011 hatte eine randomisierte französische Studie an über 100 Patienten mit schwerer halbseitiger Lähmung gezeigt, dass die Substanz womöglich die motorische Erholung von Schlaganfall-Patienten verbessern könne: Die Patienten der Verumgruppe gaben an, beweglicher und damit auch eigenständiger zu sein. Fluoxetin (Handelsname „Prozac“) hat eine motivationsfördernde Wirkung und wird weltweit auch als „Leistungs-Enhancer“ missbraucht. Dennoch führten die französischen Forscher den Effekt auf die Schlaganfallpatienten nicht allein auf das leistungssteigernde „Doping-Potenzial“ des Medikaments zurück, sondern verwiesen auf Studien, wonach Fluoxetin unter anderem die Entzündungsreaktion nach einer Durchblutungsstörung des Gehirns begrenzen kann und die Entstehung neuer Nervenzellen anrege. Demnach könne Fluoxetin die Reparatur neurologischer Schäden im Gehirn fördern.

Diese Hypothese überprüften nun zwei große randomisierte, placebokontrollierte Studien – eine wurde in Schweden durchgeführt, die andere in Australien, Neuseeland und Vietnam. Beiden kamen zu dem gleichen Ergebnis und zeigten, dass Fluoxetin nicht zur Verbesserung funktioneller Fähigkeiten nach einem Schlaganfall beiträgt. „Die Ergebnisse beider Studien sind sehr konsistent. Beide zeigten keine Wirkung, aber ein ähnliches Nebenwirkungsprofil. Die Frakturrate war um den Faktor 2,5 bis 3 erhöht, was bedenklich ist, wenn man weiß, dass Frakturen bei älteren Menschen mit einer hohen Morbidität und Mortalität verbunden sind. In der schwedischen Studie war die Hyponatriämie um den Faktor 10 erhöht, in der ozeanischen die Inzidenz von epileptischen Anfällen um den Faktor 5. Auch das korrespondiert gut, denn die Hyponatriämie ist ein bekannter Risikofaktor für epileptische Anfälle. Unterm Strich schadet die Gabe von Fluoxetin bei Schlaganfallpatienten also mehr als sie nützt“, interpretiert Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN, die vorliegenden Studiendaten.

„Die Verbesserung der Regeneration nach einem Schlaganfall stellt eines der aktuell wichtigsten therapeutischen Ziele in der Schlaganfallbehandlung dar. So gesehen ist es enttäuschend, dass beide Studien negative Ergebnisse erbrachten. Allerdings ist zu bedenken, dass in beiden Studien breite Einschlusskriterien und grobgerasterte Endpunkte gewählt wurden. Zielführend wäre es schon eher fokussierte Studien an spezifischen Schlaganfallkollektiven durchzuführen, in denen die Verbesserung des funktionellen Defizites bezogen auf einzelne sensomotorische oder kognitive Funktionen klar definiert wird“, erklärt Professor Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG). „Im Bereich der Schlaganfallrehabilitation muss weiter geforscht und investiert werden. Nur so können erfolgversprechende Konzepte zur Verbesserung funktioneller Fähigkeiten nach Schlaganfällen wie medikamentöse Therapien, Stimulationsverfahren oder Verfahren der virtuellen Realität den Durchbruch schaffen.“

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