Viele Patienten mit einer neurologischen Autoimmunerkrankung (beispielsweise Multiple Sklerose, Myasthenie, Vaskulitis, Sarkoidose, Autoimmun-Enzephalitis) sind verunsichert. Sie haben Sorge, dass immunsuppressive oder immunmodulierende Medikamente das Risiko einer Coronavirusinfektion erhöhen. Grundsätzlich ist diese Annahme nicht falsch, das Robert Koch-Institut (RKI) zählt Menschen mit unterdrücktem Immunsystem – zum Beispiel durch eine immunsuppressive/-modulierende Therapie – zur Risikogruppe für einen schwereren COVID-19-Krankheitsverlauf. Doch was ist die Konsequenz? „Das Absetzen der Medikamente wird in der Regel mehr schaden als nutzen, erst recht, wenn sie ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt erfolgt“, warnt Professor Harald Prüß, Sprecher der Kommission Neuroimmunologie der DGN (Deutsche Gesellschaft für Neurologie), die aktuell eine Stellungnahme zu der Thematik veröffentlicht hat.
Ein Behandlungsabbruch könne zu einer deutlichen Verschlechterung der Autoimmunerkrankung führen und das stünde in aller Regel nicht in Relation zu dem Risiko an COVID-19 zu erkranken. Das gelte sogar auch für immunmodulierende Substanzen, beispielsweise Fingolimod oder Siponimod, die allgemein die Anfälligkeit für Lungenerkrankungen erhöhen. „Eine gut eingestellte Immuntherapie, die stabil die Krankheit kontrolliert und ihr Fortschreiten verhindert, sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Zumindest sollte vor einem Therapiewechsel immer eine individuelle Risikoabwägung vorgenommen werden.
Auch das RKI rät Risikopatienten grundsätzlich nicht dazu, ihre Therapie abzubrechen, sondern sich stattdessen bestmöglich vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen. „Für Patienten, die eine Immuntherapie erhalten, ist es noch wichtiger als für alle anderen, die allgemeinen Verhaltensregeln und Hygieneempfehlungen des RKI zu befolgen“, gibt Professor Prüß zu bedenken. Menschen, die mit immunsuppressiven/-modulierenden Medikamenten behandelt werden, sollten also ihre Kontakte zu anderen Menschen auf ein Minimum reduzieren – nur die soziale Isolation schütze letztendlich vor Ansteckung.
„Die größte Gefahr der Immuntherapie im Hinblick auf eine mögliche Ansteckung mit dem Coronavirus ist wahrscheinlich, dass viele Präparate als intravenöse Infusion in der neurologischen Praxis oder Klinik verabreicht werden, die in diesen Zeiten natürlich alles andere als menschenleer sind. Wir empfehlen daher den Patienten, in der neurologischen Praxis/Klinik und auf dem Weg dahin einen Mundschutz zu tragen, nach Möglichkeit nichts anzufassen bzw. sich in regelmäßigen Abständen die Hände zu desinfizieren. Beratungsgespräche sollten – dem Gebot der Zeit folgend – telefonisch oder per Videosprechstunde durchgeführt werden“, erklärt DGN-Generalsekretär Professor Peter Berlit.