Interprofessionelle Versorgung von Schluckstörungen

  • Neues Dysphagie-Kompetenzteam der Dr. Becker Kiliani-Klinik besteht aus Logopädinnen und Logopäden, Ergo- und Physiotherapeutinnen und -therapeuten.
  • Neues Konzept spart Zeit und ist ein wichtiger Baustein für eine schnellere Besserung der Schluckstörung.

Die Versorgung und Behandlung von Schluckstörungen, das sogenannte Dysphagie-Management, ist im neurologischen Klinikalltag eine der Kernkompetenzen von Logopädinnen und Logopäden sowie akademischen Sprachtherapeuten und -therapeutinnen. Der komplexe Schluckvorgang und dessen Behandlung bei Erkrankung ist fester Bestandteil ihrer drei- bis vierjährigen Ausbildung. In der Dr. Becker Kiliani-Klinik werden die Expertinnen und Experten jetzt zusätzlich von Ergo- und Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten unterstützt.

Geballte Kompetenz auf den Phase B-Stationen

Die Idee, ein neues interprofessionelles Kompetenzteam zu bilden, entstand aus mehreren Gründen. Initial ging es darum, die Logopädinnen und Logopäden bei der Versorgung der Schluckstörungspatientinnen und -patienten zu entlasten. In der neurologischen Phase B-Abteilung der Bad Windsheimer Rehaeinrichtung werden jährlich rund 250 Patientinnen und Patienten versorgt, die aufgrund von zum Beispiel Schlaganfällen oder eines Schädel-Hirn-Traumas nicht mehr selbstständig schlucken können. „Grundsätzlich geht es darum, eine gute Versorgung der Patienten sicherzustellen“, so Anja Ammon, Sprachheilpädagogin und Teamleiterin der Logopädie. Professionsübergreifend zu arbeiten, ermögliche eine symptombezogenere Behandlung. So spiele bei der Schlucktherapie zum Beispiel die Mobilisation in den Sitz, die Anwendung von Hilfsmitteln beim Essen und Trinken oder die therapeutische Mundpflege eine große Rolle. „Das passt gut insbesondere zur Ergotherapie. Daher haben alle Ergotherapeutinnen und -therapeuten aus unserem Phase B-Team an den Schulungen teilgenommen und gehören jetzt zum neuen Kompetenzteam“, sagt Anja Ammon.

Vier theoretische Schulungen, anschließende Supervisionen

Seitens der Kolleginnen und Kollegen aus Ergo- und Physiotherapie gab es großes Interesse an der Weiterbildung zu dieser speziellen Versorgung. Den Grundstein dafür legte Anja Ammon mit ihren vier je zweistündigen Schulungen zu „neurogenen Dysphagien“ und anschließenden Supervisionen im therapeutischen Alltag: „Ähnliche Schulungen habe ich für Pflegende abgehalten. Für meine therapeutischen Kolleginnen und Kollegen habe ich die Inhalte etwas angepasst und erweitert.“ Beispielsweise sind Anatomie und Physiologie des Schluckaktes sowie die zentrale Steuerung im Gehirn Teil des ersten Schulungsmoduls. Zudem lernen die Therapeutinnen und Therapeuten viel Technisches, zum Beispiel über den Gebrauch verschiedener Sprechventile und Trachealkanülen bei tracheotomierten und beatmeten Patientinnen und Patienten.

Auch neue Kolleginnen und Kollegen aus der Logopädie haben an den Schulungen teilgenommen. Insbesondere Berufsanfängerinnen und -anfänger aus der Logopädie profitieren laut Ammon von den Schulungen. „Berührungsängste mit der Trachealkanüle sind ganz normal, die hatte jeder von uns am Anfang. In den Schulungen können sie ihr Wissen nochmal explizit vertiefen und werden im Klinikalltag dann von einem interprofessionellen Team unterstützt.“ Die Co-Therapien in Zweierteams mit Physio- oder Ergotherapeuten seien in der Dr. Becker Kiliani-Klinik ohnehin bei Bedarf bereits etabliert.

Grenzen kennen, Grenzen aufbrechen

„Natürlich sind wir Logopädinnen und Logopäden nach wie vor die Fachleute, wenn es um den Umgang mit Dysphagie geht. Die Schulungen können nicht das ersetzen, was bei uns Teil der Ausbildung ist. Direkt zu Anfang habe ich daher abgefragt, was sich die Kollegen im Team vorstellen könnten zu übernehmen und was nicht“, erklärt Ammon. Es habe schnell Übereinstimmungen gegeben, zum Beispiel dass das erste Entblocken, also der erste Schritt zur Entwöhnung von der Trachealkanüle, im Verantwortungsbereich der Logopädie bleibt. Auch die Diagnostik und schlucktherapeutische, funktionelle Übungen führen weiterhin ausschließlich Logopädinnen und Logopäden durch.

Störende Sekrete abzusaugen, die Entwöhnung von der Trachealkanüle voranzutreiben oder den Kostaufbau zu begleiten hingegen, ist nun den Ergo- und Physiotherapeutinnen vom Kompetenzteam möglich. Außerdem wenden sie bei Dysphagiepatientinnen und -patienten, die noch nicht voll bei Bewusstsein sind, Techniken an, die stimulierend auf den Schluckapparat wirken.

„Wir wählen aus, welche Patientinnen und Patienten von den anderen Disziplinen innerhalb des Kompetenzteams übernommen werden können. Wir sind bei allem als Mentorinnen und Mentoren im Hintergrund und stehen den anderen zur Seite“, so die Sprachheilpädagogin Ammon. Zusätzlich unterstützen die Logopädinnen und Logopäden ihre Kolleginnen und Kollegen im Kompetenzteam durch Fallbesprechungen und regelmäßige Supervisionen. Die „orofaziale Therapie“ dürfen alle im Dysphagie-Kompetenzteam durchführen. Sie ist als zusätzliches Heilmittel hinterlegt und geht nicht von der üblichen Therapiezeit der Ergo- und Physiotherapeutinnen und -therapeuten ab.

Das i-Tüpfelchen für die Ergotherapie

Ergotherapeutin Susanne Wolf freut sich über die neue Position im Kompetenzteam: „Die Schulungen waren gut aufgebaut und haben Spaß gemacht. Zusätzlich war es hilfreich, bei den Logopäden zu hospitieren, um sich noch ein paar Handgriffe abzugucken.“ Ihr habe bei der Arbeit auf der Phase B-Station immer ein bisschen was gefehlt, ein i-Tüpfelchen. „Das habe ich jetzt dazugewonnen: Eine Kompetenz, die mir sonst als Ergotherapeutin verwehrt geblieben wäre.“

Bessere Versorgung durch interprofessionelles Konzept

Anja Ammon und ihre Kolleginnen und Kollegen sind von dem neuen Konzept überzeugt. Durch das Nutzen von Synergien spare man Zeit, dies führe bei den Patientinnen und Patienten oftmals zu einer effizienteren Behandlung und meist auch schnelleren Besserung der Schluckstörung. „Dysphagie ist ein komplexes Störungsbild und tangiert letztlich mehr oder weniger alle Berufsgruppen in der Frührehabilitation. Je mehr von uns wissen, worauf bei dieser Erkrankung zu achten ist, desto besser können wir in der Summe helfen“, so Ammon. Schluckstörungen seien das beste Beispiel dafür, dass interprofessionelle Zusammenarbeit sinnvoll und notwendig sei. „Übrigens: Auch wir Logopäden bilden uns natürlich über unsere Profession hinaus weiter, zum Beispiel erst kürzlich bei einer umfangreichen Lagerungsschulung nach dem LiN-Konzept (Lagerung in Neutralstellung) durch eine externe LiN-Trainerin. Daran nahmen alle Berufsgruppen aus dem Dr. Becker PhysioGym in der Dr. Becker Kiliani-Klinik und die Pflegekräfte teil“, ergänzt Anja Ammon.

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