Beatmete Kinder sind die Leidtragenden in einem Interessenskonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und Versorgungsqualität
Die Hilfsmittelversorgung beatmeter und intensivpflegebedürftigen Kindern zeigt eine beunruhigende Schieflage: Deren spezifische Bedarfe werden in Kassenverträgen systematisch ignoriert. Wirtschaftlichkeit geht in vielen Verträgen der Gesetzlichen Krankenversicherer vor Versorgungsqualität.
Die besonderen Bedarfe von Säuglingen und heranwachsenden Kindern werden in Verträgen systematisch ignoriert
Anstelle ausreichender und individuell erforderlicher Versorgung wird lediglich das Mindestmaß bei der Versorgung Erwachsener definiert. Die Masse bestimmt Preis und Leistung. Die Besonderheiten einer Kinderversorgung mit kleinen Stückzahlen und Mehrbedarfen an Betreuung, Material, besonderen Geräten oder Folgeversorgungen aufgrund von Wachstum und Entwicklung werden in diesen Verträgen nicht berücksichtigt und honoriert.
Dies führt in der Praxis dazu, dass für beatmete Kinder das Glück einer angemessenen Versorgung vom persönlichen Verantwortungsbewusstsein einzelner Versorger abhängt, anstatt auf soliden, wirtschaftlich auskömmlichen Verträgen zu basieren.
Die Unterfinanzierung der Versorgung beatmeter Kinder ist in Verträgen einkalkuliert
Den Kassen ist diese Versorgungsproblematik bekannt: Der anfallende Mehraufwand bei Kindern soll über knapp kalkulierte Gewinnspannen im Standardbereich erwirtschaftet und querfinanziert werden – so das Vertragskalkül.
„Wir reden von circa 1000 intensivpflegbedürftigen und beatmeten Kindern, Schätzungen des G-BA zufolge“, meint Heiko Hannemann, Sprecher der AG Beatmung des Netzwerks rehaKIND. „Deren adäquate Versorgung ist kein Kostentreiber, aber für die Patienten lebensnotwendig und entwicklungsentscheidend. An der Versorgung dieser kleinen Gruppe zu sparen, lohnt sich nicht.“
rehaKIND e.V. fordert verbindliche Versorgungskriterien und Altersgrenze von 18 Jahren
In der AG-Beatmung des fachlich und politisch aktiven Netzwerks rehaKIND e.V. engagieren sich – über Unternehmensgrenzen hinweg – Versorger im Bereich Beatmung und Intensivpflege, um für die Produktgruppen PG 12 und PG 14 sinnvolle und verbindliche Standards und Qualitätskriterien für die Versorgung von Kinder zu definieren und festzuschreiben – mit klaren Regelungen und Altersgrenzen von 18 Jahren.
Dieses Engagement ist dringend notwendig: Aktuell enthalten unterschiedliche Verträge und Produktgruppen Altersgrenzen von 12 Jahren, 14 oder 16 Jahren mit schwerwiegenden Auswirkungen für die kleinen Patienten und deren Familien. Mehrbedarfe durch Wachstum und kindliche Entwicklung sind nicht adäquat berücksichtigt.
Es gibt unbürokratische Lösungen – dafür fehlt es am Willen der Kassen
„Für die kleine Zahl der betroffenen Kinder könnten die standardisierten Regeln ausgesetzt werden“, ergänzt Heiko Hannemann, Geschäftsführer der Firma Börgel GmbH, die als Spezialist diese Kinder im Bereich Beatmung und Tracheostoma versorgt. „Diese Patientengruppe ist wirklich besonders: Gut versorgte und beatmete Kinder können spielen, sich bewegen und in die Kita oder zur Schule gehen. Sie haben kein Gefahrenbewusstsein und wenig Akzeptanz für störende Verbände oder Schläuche. Sie entwickeln sich und wachsen – manchmal in Schüben. Das muss man in die Versorgungen einbeziehen und das bedeutet kindgerechte Geräte und Versorgungsmaterialien. Dieser Mehraufwand muss für alle Kassen und Produktgruppen definiert und verbindliche Altersgrenzen von 18 Jahren festgelegt werden,“ erklärt Heiko Hannemann.
Wirtschaftlichkeit versus kindgerechte Versorgung belastet alle Beteiligten
Durch falsche Annahmen und bürokratische Genehmigungsregelungen entstehen unnötige Mehrbelastungen. Ein Beispiel: Der für Erwachsene festgelegte Verbrauch von zwei Klebesensoren pro Monat bei Tracheostoma-Versorgungen ist bei Kindern eine völlig unrealistische Annahme. Kinder knibbeln an den Klebestellen oder reißen sie sich beim Spielen und in der Kita ab. Den daraus resultierenden Mehrbedarf müssen sich Eltern aufwändig genehmigen lassen oder selbst finanzieren.
„Viele große Kassen sind für diese Versorgungsschieflage taub, dabei zeigen einzelne Kostenträger, dass das Problem unbürokratisch gelöst werden kann“, bestätigt Christiana Hennemann, die als Geschäftsführerin von rehaKIND e.V. das Gespräch mit vielen Kassen sucht.
Bedarfsgerechte Versorgungen von Fachärzten werden von den Kassen abgelehnt, weil sie den Kostenrahmen sprengen. „Das Schlimmste ist, dass viele dieser Kassen darauf spekulieren, dass die betroffenen Familien in den Widerspruchsverfahren nach der ersten Ablehnung aufgeben und die Mehrkosten aus eigener Tasche bezahlen“, berichtet Christiana Hennemann und weiß: „Der Konflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und fachlich gebotenem Anspruch wird auf dem Rücken der Leistungserbringer vor Ort sowie der betroffenen kleinen Patienten und ihrer Familien ausgetragen. Die bürokratischen Hürden und der Genehmigungsprozess reiben Familien auf und treiben Eltern in die Vollzeitpflege und Armut.“
Intensivpflegebedürftige und beatmete Kinder sind der Kollateralschaden
„Uns belastet nicht der Fachkräftemangel, sondern die Überbelastung durch falsche Vertragsinhalte“, erklärt Heiko Hannemann. „Unsere Fachkräfte werden oft mit Notfallversorgungen beauftragt, wenn die unzureichenden Standards zuvor zu schmerzhaften Fehlversorgungen geführt haben und sich dramatische Folgen für Gesundheit und Entwicklung abzeichnen. Erst dann gelingt es uns, über Notfallregelungen so versorgen, wie es bei diesen Kindern von Anfang an geboten wäre.“
Das Netzwerk rehaKIND e.V. fordert deshalb verbindliche Altersgrenzen von 18 Jahren in den Verträgen und eine unbürokratische Regelung, die den Mehraufwand und die besonderen Bedarfe an Betreuung, Material und Technik bei der Kinderversorgung adäquat berücksichtigt.