Kritik an Gesetzentwurf

Dr. Ursula Becker, Geschäftsführerin Dr. Becker-Klinikgruppe, kritisiert Jens Spahns geplanten Rettungsschirm

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat am Samstag einen Gesetzentwurf zur Finanzierung der Corona-Krise vorgelegt und ihn nach heftiger Kritik von Kliniken und Verbänden binnen weniger Stunden wieder zurückgezogen. „Unser gemeinsames Ziel ist es, die gesundheitliche Versorgung aufrecht zu erhalten und unsere Mitarbeiter zu schützen“, reagierte zum Beispiel Dr. Ursula Becker, Geschäftsführerin der Dr. Becker Klinikgruppe, umgehend auf Spahns Pläne. „Dafür hatte Jens Spahn uns maximale Unterstützung – whatever it takes – zugesichert. Der heute veröffentlichte Rettungsschirm von Herrn Spahn ist aber das genaue Gegenteil, eine Chimäre! Er wird zerstörerisch wirken.“ Becker kritisierte unter anderem, dass der Entwurf keinen finanziellen Ausgleich für Rehakliniken vorsehe, die ihre Patienten entlassen müssten, um Krankenhauspatienten zu übernehmen. Finanzielle Mittel für sie seien demnach nur vorgesehen, wenn sie Corona-Betroffene aufnehmen. „Das ist doch völlig verrückt – wir sind auf Stand-by, aber niemand bezahlt uns unseren aktuellen Leerstand. Wie sollen wir denn unsere Mitarbeiter halten und bezahlen? Und die reibungslose Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und Rehakliniken wird so doch auch torpediert“, kommentierte sie wütend.

„Es ist komplett unverständlich, dass der Bundesgesundheitsminister in der historischen Krise nicht alles daransetzt, das Gesundheitssystem in Deutschland sturmfest zu machen. Die Krankenhäuser brauchen dringend umfassende finanzielle Unterstützung und Sicherheit, um so viele Menschenleben wie möglich während der bevorstehenden Hochphase der Corona-Pandemie retten zu können. Stattdessen knickt Herr Spahn gegenüber dem Bürokratiewahn der Krankenkassen ein. Mit dem aktuellen Gesetzentwurf sind Kurzarbeit, Massenentlassungen und Insolvenzen in vielen Krankenhäusern unabwendbar“, sagte Kai Hankeln von den Asklepios Kliniken.

Der Parietätische Wohlfahrtsverband schlug Alarm, dass die sozialen Dienste nicht unter den neuen Corona-Schutzschirm fallen sollen. „Wir haben überhaupt kein Verständnis dafür, wenn wissentlich die Auflösung sozialer Infrastruktur in Kauf genommen wird und soziale Dienste bei dem Corona-Schutzschirm außen vorgelassen werden. Dass ausgerechnet in dem Bereich, wo es um Hilfe und Schutz für die Schwächsten in dieser Gesellschaft, wo es um Wohlfahrt und Fürsorge geht, staatliche Hilfe in dieser Krisenzeit durch Teil der Bundesregierung blockiert werden, ist ein Skandal“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. „Es geht hier um soziale Dienste von der Altenhilfe bis zur Kita, um Bildungs-, Beratungs- und Hilfsangebote für benachteiligte Menschen und Menschen in existenziellen Notlagen. Und es geht letztlich auch um das Fortbestehen unseres Sozialstaats und einer sozialen solidarischen Bürgergesellschaft auch über die Krise hinaus.“ Der Verband warnt vor einer Insolvenzwelle sozialer Einrichtungen innerhalb kürzester Zeit. „Soziale Dienste aller Art müssen zwingend mit unter den Rettungsschirm, den diese Bundesregierung gerade für Milliarden Euro spannt“, so Schneider. 

Doch auch die Nachbesserungen, auf die sich Jens Spahn zwischenzeitlich mit den Gesundheitsministern der Länder verständigte, stoßen weiter auf Kritik. Der überarbeitete Entwurf sei ebenfalls keine Lösung, so etwa Dr. Ursula Becker, Geschäftsführerin der Dr. Becker Klinikgruppe. Die vorgesehene Einbindung der Vorsorge- und Rehabilitationskliniken in die Patientenversorgung geschehe nur halbherzig und führe die Kliniken wegen fehlender finanzieller Absicherung innerhalb weniger Tage in die Insolvenz. Es käme zur absurden Situation, dass dringende benötigte Ärzte und Pflegekräfte in der Krise entlassen werden oder in Kurzarbeit gehen müssten. Dabei lägen in der konsequenten Einbindung der Vorsorge- und Rehabilitationskliniken sowie der Krankenhäuser nach § 30 GewO enorme Chancen: Insgesamt verfüge man in Deutschland über 167.000 Betten in rund 1.000 Einrichtungen mit rund 120.000 Mitarbeitern (Köpfe). Diese Potenziale würden mit dem Gesetzentwurf nicht erschlossen. Existenzen und vor allem Patientenleben stünden auf dem Spiel: „Es ist doch verrückt, die ersten Zelte aufbauen zu lassen, während Rehakliniken mit ihren Einzelzimmern leer stehen“. Das Gesetz müsse unbedingt angepasst werden.

 „Der Entwurf ist so definitiv nicht akzeptabel“, sagt auch Professor Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und fordert gravierende Änderungen. „Wir haben in den Kliniken einen riesigen Aufwand, der durch nichts gegenfinanziert werden soll“, erläutert der Mediziner. Rein rechnerisch kommt Janssens zum Beispiel für jedes neu errichtete Intensivbett in seiner Klinik auf etwa 95.000 Euro, Tendenz steigend – da die Preise für Medikamente und Schutzausrüstung aufgrund der hohen Nachfrage in die Höhe schießen. „Der Minister wollte zunächst 30.000 Euro für diese Betten zurückerstatten, in der Nachbesserung des Gesetzentwurfes bietet er jetzt 50.000 Euro für jede neue intensivmedizinische Behandlungseinheit mit Beatmungsmöglichkeit an“, so Janssens. Auf den restlichen Kosten blieben die Kliniken wohl sitzen. „Die Krankenhäuser dürfen jetzt nicht alleingelassen werden!“ Sollten keine erheblichen Änderungen im derzeit neu zu erwartenden Entwurf erkennbar sein, werde dies zu einem massiven Vertrauensverlust in die Politik führen und mittel- wie langfristig erhebliche Nachwirkungen haben.

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