Über den schmerzlichen Verlust der Sprache

Der Online-Kongress „Aphasie 4.3“ findet vom 24. bis 26. März 2023 statt.

Nach einem Schlaganfall mit Aphasie eskaliert erst einmal alles. Der Schock ist nicht zu fassen. Die Verzweiflung riesengroß. Denn nichts ist mehr, wie es war. Wie schaffen es aphasische Menschen, sich wieder zu fangen? Und wie agieren Sprachtherapierende? Ist es ihnen bewusst, dass eine Aphasie viel mehr ist als eine tiefgreifende Sprachstörung? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Online-Kongresses „Aphasie 4.3“, den das Team des Würzburger Zentrums für Aphasie & Schlaganfall (AZU) vom 24. bis 26. März 2023 veranstaltet.

Man muss nicht viel Fantasie haben, um sich ausmalen zu können, wie schrecklich es ist, plötzlich nicht mehr sprechen, Sprache plötzlich nicht mehr gut verstehen und nicht mehr lesen zu können. Welche seelischen Folgen eine Aphasie genau haben kann, darüber referiert der Berliner Psychologe Benjamin Stahl. Sein 20-minütiger Vortrag ist eingebettet in eines der beiden Kongress-Foren, die in bewährter Weise von Psychologin Marina Fraas und Softwareentwickler Matthias Beck geleitet werden. Beide sind selbst von einer Aphasie betroffen. Bei diesem ersten Forum führen sie vertiefte Interviews sowohl mit Benjamin Stahl als auch mit einer Sprachtherapeutin.

Den meisten Menschen nach Schlaganfall und mit Aphasie wird es wahrscheinlich nie ganz gelingen, das gestrige Leben einfach abzutun. Immer wieder wird es Momente geben, wo man sich nach dem sehnt, was man verloren hat. Für Augenblicke mag gar Wut darüber aufkommen, dass man schlagartig um ein normales Leben betrogen wurde. „Viele Menschen schaffen es allerdings auch, diesen ganz tiefen Schmerz, den sie direkt nach dem Schlaganfall und der Aphasie durchleiden mussten, im Laufe der Zeit zu überwinden“, sagt Beate Hechtle-Frieß vom AZU. Beim zweiten Forum werden Marina Fraas und Matthias Beck mit Betroffenen darüber reden, wie ihnen das gelungen ist.

Bei manchen Patienten war der Schicksalsschlag, der zur Aphasie führte, so gravierend, dass sie um ein Haar gestorben wären. Das erlebte auch Martina Grabowski. Nach einem unfallbedingten Schädel-Hirn-Trauma lag sie im Frühjahr 2020 drei Wochen lang im Koma. In ihrem Buch „Gehirn in Reparatur?“, aus dem sie während des Online-Kongresses lesen wird, beschreibt sie, wie mühsam es war, die Funktionen ihres Gehirns allmählich wieder aufzubauen. Unter die Haut gehend erzählt die Mutter zweier erwachsener Kinder von ihrem Koma- und Nahtoderlebnis, von ihren nach und nach wieder aufsteigenden Erinnerungen und ihrer schrittweisen Rekonvaleszenz.

Mit ihrem Vortrag über das Selbstmanagement-Programm „INSEA“ wird Simone Hoffmann vom Selbsthilfe-Büro des Bayerischen Roten Kreuzes in Gemünden neue Impulse zur Bewältigung von chronischen Krankheiten geben. „INSEA“ unterstützt Betroffene darin, ihre Lebensqualität zu verbessern, ihren Alltag zu bewältigen, die Einnahme der Medikamente gut zu organisieren, sich ausgewogen zu ernähren und körperlich aktiv zu sein. Das Kursprogramm beinhaltet außerdem Entspannungsübungen sowie Tipps zur Selbstmotivation und zur guten Kommunikation mit Angehörigen. Außerdem wird das Selbstvertrauen im Umgang mit der Krankheit gestärkt.

Wie schon im vergangenen Jahr wird auch heuer wieder Astrid Dümler über Hypnotherapie für Betroffene und Angehörige sprechen. Dümler ist Heilpraktikerin und Sprachheilpädagogin mit einer Praxis für Neuro-Rehabilitation in Köln. Sie befasst sich mit der Wirkung der Sprache auf das Gehirn sowie mit Imagination und Trance. Einblicke in die Musiktherapie nach Schädel-Hirn-Trauma und Schlaganfall gibt Franz Miller aus Rudelzhausen bei Freising. Miller entwickelte ein Therapiesystem, das sich einerseits an der aktuellen Gehirnforschung orientiert, andererseits bei jedem Patienten individuelle Lösungen generiert.

Während des Online-Kongresses wird eine Palette an Möglichkeiten präsentiert, wie Menschen mit Aphasie und ihre Angehörigen aus den durch die Erkrankung bedingten, seelischen Kalamitäten herausfinden können. Insgesamt sind rund 30 Vorträge, Workshops und Foren vorgesehen. Erwartet werden, wie im letzten Jahr, wieder bis zu 550 Betroffene, Angehörige und Therapierende. Die Preise für die Aphasie-Tage sind gestaffelt: Studierende zahlen 55, Betroffene/Angehörige 75 und Therapierende 129 Euro für alle drei Tage. 2024 wird es zum 25. Mal Aphasie-Tage geben. Das Team des AZU setzt alles daran, dass diese dann endlich wieder in Präsenz in Würzburg stattfinden können.

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